Fassathlon 2003 - Bericht eines Kameramannes
07:30: Uhr Der Wecker klingelt zum ersten Mal - mein Kopf auch. Beschließe, noch fünf Minuten liegen zu bleiben.
08:00: Uhr Stehe unter der Dusche. Durch das Radio erfahre ich: es ist Dienstag. Die Erinnerung kommt wieder: Dienstag ... Dienstag, der 1. Juli 2003? - der Fassathlondienstag!
09:15: Uhr Sitze in der Vorlesung, kann mich trotz äußerst interessanter Tafelbilder nicht konzentrieren, fiebere schon dem Start entgegen.
(Was in meinem Kopf vorgeht? Ich sehe gestählte Körper, die mit ihren Sportgeräten den Wasserberg bezwingen, den Fluten des Soldatenteiches trotzen und bewaffnet mit einem Fahrrad wieder in Richtung Freiberger Stadtmauer steuern. Am Straßenrand stehen Mädchen in weißen Leinenkleidern, reichen den tollkühnen Helden Wasser, Blumen oder Telefonnummern und winken ihnen dann mit einer Träne im Auge mit einem Taschentuch hinterher. Manche stehen wie angewurzelt da, bis auch der letzte Fassathlot am Horizont verschwunden ist ...)
09:45: Uhr Ein Blick aus dem Fenster und ich werde jäh aus meinem Traum gerissen:
REGEN.
Vielleicht doch keine Mädchen mit Taschentüchern.
10:00: Uhr Noch einmal wende ich den Blick von der Tafel ab, doch was müssen meine schmerzenden Augen sehen? Es regnet immer noch. Langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl, hoffentlich wird sie dennoch starten, die Fassathlon-WM.
12:30: Uhr Briefing der Teilnehmer. Die Strecke wird noch einmal haarklein durchgesprochen; unabdingbar, wie sich später zeigen soll - wobei dann wohl zwei Teilnehmer in Gedanken ganz woanders waren, vielleicht bei den Mädchen am Straßenrand?
12:45: Uhr START!
Es gilt fünf Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Ich habe erste Probleme - wie soll ich 16 Sportler, motiviert wie einst Harald J. beim Gang an die Theke, gleichzeitig auf das Band bekommen?
12:48: Uhr An der Neuen Mensa ist das Feld bereits weit auseinandergezogen. Favorit Litzke führt, dicht gefolgt von den Herren Häfner, Pardemann und Stockinger. Ich bleibe noch so lange an der Mensa, bis ich auch den letzten gefilmt habe - wie sich kurze Zeit später herausstellt, zu lange.
Ich muss arbeiten, dass ich wieder an das Hauptfeld herankomme, obwohl ich auf einem Fahrrad sitze. Aufgrund des Stresses, der aus meiner Aufholjagd resultierte, war es mir im weiteren Verlauf nicht mehr möglich, auf die Uhr zu schauen. Apropos ‚schauen' - mit ihren Reizen geizen die Fassathloten nicht, während sie durch die Stadt hasten, ich immer nebenher. Es braucht keine große Menschenkenntnis, um die Eifersucht der Zuschauer zu bemerken. Es fallen Fragen, die von einer profunden Kenntnis des Potentials fassathlotischer Leistungsträger zeugen, wie zum Beispiel "Ist das Fass voll?", nur übertroffen von "Hast du das alles selber getrunken?", beantwortet mit "Das kommt dann heute abend ...".
Aber zurück zum Geschehen. Ich stehe vor der "Alten Mensa", muss alle Kraft aufbringen, um der Anziehungskraft der Theke standzuhalten - und Wunder, oh Wunder, es klappt. Doch nicht nur ich habe Probleme mit der alkoholischen Gravitation, auch die Fassathloten verlangsamen ihr Tempo, während sie bedächtig in die Linse blicken - alle Reserven müssen mobilisiert werden, um der Mensa zu trotzen. Nachdem ich auch die Nachhut für die Ewigkeit festgehalten habe, schwinge ich mich wieder auf meinen Drahtesel, mit dem eisernen Willen, den Führenden auf den nächsten zwei Kilometern einzuholen.
Ich gebe alles. Durch die unheimliche Geschwindigkeit verdunsten die Körperausscheidungen so schnell, dass mein Körper auskühlt - doch leider komme ich während der vorgegebenen zwei Kilometer nur bis zum derzeitig Drittplatzierten Häffner heran. "Das Tier" Litzke hole ich erst kurz vor dem Soldatenteich ein. Was für ein Bild von einem Mann, ich muss sofort an den edlen Prinzen auf seinem Schimmel denken. Beim Entkleiden stellt sich heraus, daß diese Metapher nicht wirklich passt. Vor mir steht kein Prinz, auch kein Schimmel, sondern ein Monster - ein Berg von Muskeln, die zum Zerreißen gespannt, nun 15 Minuten warten müssen, bis sie ihre Schwimmtauglichkeit unter Beweis stellen müssen.
Während dieser vorgeschriebenen Wartezeit zeigte sich übrigens, was ein richtiger Sportmann ist: während die Ehrgeizigen die Zeit nutzen, um zu sich selbst zu finden, einen schmerzenden Muskel zu lokalisieren und sich gründlich von der begeisterten Damenwelt durchkneten ließen, fanden die weniger Ehrgeizigen auch zu sich, aber eben auf eine andere Art und Weise. Man nutzte die Pause für, wie ich glaube, einen kleinen Nikotinschock.
Aber jetzt hieß es für "das Tier", später für den Rest der Favoritengruppe "ab ins Wasser!" Meine Damen und Herren, wer diesen Moment verpasst hat ... mir fehlen die Worte. Ich würde sagen, der hat was verpasst. Die Fassathloten kämpfen sich durch die meterhohen Wellen des Soldatenteichs, mir drängt sich ein Vergleich zu Baywatch auf, wo vollbusige Schönheiten ihre Argumente den Fluten entgegenwerfen ... ich schweife ab. Man testet nochmals die Schwimmfähigkeit der Sportgeräte und verliert dann langsam den Boden unter den Füßen. Es gilt. Zug für Zug nähert man sich dem Ufer, an dem Frauen stehen und winken, was aber bei diesen Frauen noch viel wichtiger ist: sie halten eine Uhr in der Hand. Die Uhr, gegen die jeder einzelne Fassathlot mit all seinen Kräften kämpft. Und da kommt auch schon der Erste. "Das Tier" Litzke wirft sich wie ein Flusspferd aus dem Wasser. Ohne Zeit zu verlieren geht es weiter auf's Rad, abtrocknen is nich ...
Ich warte noch, bis auch der letzte seinen Astralkörper vor meiner Kamera räkelt und dann fix ins Auto und den fleißigen Radlern hinterher. An der Bahnschranke in Richtung Kleinschirma warten schon die ersten auf mich. Hier, wo sich sonst nur Fuchs und Hase gute Nacht sagen, geben sich Weltklasseathloten wie Wolle und Stephan die Hand, es wird ein erstes Statement abgegeben und Erfahrungen ausgetauscht. Ja, beim Freiberger Fassathlon geht es trotz allem sportlichen Ehrgeiz noch familiär zu. Doch als sich die Schranke wieder öffnet, kommt plötzlich Verwirrung auf. Auf der anderen Seite stehen Matze und Chrix, von Stocki keine Spur. Wie sich später herausstellen soll, hat sich "das Tier" trotz weithin sichtbarer Hinweisschilder verfahren; "das Tier" ist wohl ein Maulwurf.
Wieder auf dem richtigen Weg geht es mit unglaublichem Tempo gen Freiberg. Ich frage mich langsam, wo Stocki, der ehemals Zweitplatzierte ist, nach mehrmaligen Stops und Umhersuchens mit meinem Feldstecher entschließe ich mich, die Einsatzzentrale Ullmann über den Verlust des Fassathloten Stockinger zu informieren und mache mich schon auf Pressekonferenzen gefasst, in denen ich sämtliche Schuld von mir weisen werde und das urplötzliche Verschwinden anderen Lebensformen, Sie wissen schon, die kleinen, grünen, mit nur einem Auge ... doch was wird mir telefonisch mitgeteilt? Der Zweitplatzierte ist schon in der Merbachstraße und schlürft gemütlich an seinem Bierchen, während sich "der Maulwurf" Litzke noch hinter mir befindet.
Ich verstehe die Welt nicht mehr, mache mich aber auf den Weg in Richtung des Geschehens, will unbedingt Stocki zu seinem Sieg gratulieren, doch als ich ankomme, ist sein Glas noch halb gefüllt. Er pumpt, er zieht, kurz: er ist fertig. Zum Trinken fast zu schwach, aber laut Regelwerk muss er Glas und Inhalt selbstständig heben und leeren können. Also auf ... und eins, zwei, drei, vie.., nein, nur drei - er ist fertig. Ich gratuliere dem Sieger des Freiberger Fassathlons 2003, gleichzeitig Weltmeister dieser Disziplin.
Jetzt trifft auch Maulwurf Matze ein, gefolgt von Pitt, der eine enorme Aufholjagd auf dem Fahrrad darbot, und Stephan. Alle setzen das Glas an. Doch wo ist Wolle? Wolle fehlt, wenig später kommt er - von der Neuen Mensa. Wohl auch ein Maulwurf? Im sich langsam entwickelnden Getümmel verliere ich den Überblick, kann nicht mehr sagen, wann wer gekommen ist, bekomme aber nach einer schier endlosen Zeit die Nachricht "alle da, alle durch". Eigentlich sollte der Bericht jetzt hier enden, aber im Anschluss gab es ja noch eine zünftige Fassathlonparty, übrigens meines Wissens die erste in der Geschichte der Menschheit. Was soll ich dazu sagen? Es gab etwas zu trinken, man hatte seinen Spaß, unterhielt sich angeregt, bei der Siegerehrung wurde Else mit 13 Litern Bier eingeweiht (und ausgetrunken), jedem Fassathloten wurde ein T-Shirt überreicht, mit dem wir alle ein Jahr lang mit stolzgeschwellter Brust Werbung laufen und so weiter und so fort ...
Ein Höhepunkt verdient jedoch besondere Beachtung. Die Rennleitung ließ es sich nicht nehmen, dem begeistertem Publikum diese neue Trendsportart etwas näher zu bringen - und die Partyfraktion der TUBAF schenkte sich nichts, aber auch gar nichts beim "Mini-Fassathlon"!
Es galt, einen etwa 30 Meter langen Parquor zu überwinden, gespickt mit Aufgaben, die selbst Indianer Jones Schweißperlen auf der Stirn getrieben hätten. Ein ca. 20 cm tiefes Schwimmbecken mit einer reißenden Strömung war noch verhältnismäßig leicht zu passieren, aber der Mont Ventoux Freibergs forderte seinen Tribut ... Das anschließende Leeren eines kleinen Glases Bier war dann nur noch reine Formsache.
Soweit ich mich erinnere, hat irgendjemand gewonnen, ich bin mir aber nicht ganz sicher und den Namen weiß ich erst recht nicht mehr ... Abschließend möchte ich jeden zum Fassathlon 2004 einladen - aber natürlich nur, wenn er in der Lage ist, vor den gewaltigen sportlichen Anforderungen eines Fassathlon zu bestehen.
Schaut euch doch mal auf dem Campus der TU Bergakademie Freiberg um, ob ihr nicht jemanden mit einem schwarzen T-Shirt seht, auf dem in weißen Lettern für immer und ewig - mit einem einzigen natürlichem Gegner - Waschmittel - Fassathlon steht.. Vielleicht bin ich das ja - Euer Kameramann Pelle.